v. links: Rats in the Wall (© Eva Hall), SXTN (© Florian Koppe)

Im März entschied der Bundesgerichtshof, dass sich auch Menschen als “Kunden” bezeichnen lassen müssen, die eigentlich “Kundinnen” sind. Das ist höchst ärgerlich, denn Sprache schafft Sichtbarkeit – oder eben nicht.

Frauen finden sehr wohl statt – aber wir kriegen sie nicht zu sehen. Oder zu hören. Dass das so ist, liegt auch an uns selbst und an der Auswahl, die wir tagtäglich treffen. Mir ist zum Beispiel erst vor kurzem siedendheiß aufgefallen, dass wir zwar immer ebenso fleißig wie begeistert die Fußball-Europa- und Weltmeisterschaft gucken – aber nur die der Männer! Mein fußballbegeisterter Sohn guckt mit seiner fußballbegeisterten feministischen Mutter nie Frauenfußball! Das wird sich in Zukunft natürlich ändern und bei der nächsten Frauen-WM gesellt sich zum Panini-Heft mit Fußballer-Sammelstickern ein Panini-Heft mit Fußballerinnen-Sammelstickern.

Dass wir unsere Auswahl treffen wie wir sie treffen, liegt unter anderem an unserer Aufmerksamkeit – wo gucken wir hin? Die Medien helfen dabei nicht. Bleiben wir beim Beispiel Sport: Die Medien berichten eben fast ausschließlich über Männer-Fußball, -Handball, -Dart, – Eishockey, -Motor- und Radsport (aktuell gibt es auf Spiegel Online sogar ein Interview mit dem Minigolf-Weltmeister! MINIGOLF?! Echt jetzt? Und hat irgendjemand, der/die denkt, der Feminismus hätte längst ausgedient, Bock auf einen Realitätscheck und zählt durch, wie viele Interviews es dort so mit Sportlerinnen gibt?). Und dass es im Feminismus nicht nur um Gleichberechtigung bzw. gleiche Chancen geht, sondern zum Beispiel auch um Sichtbarkeit und Normalisierung von Frauen und Frauenthemen, das weißt Du doch, oder?

Bei Musik ist das kaum anders. Natürlich gibt es jede Menge musizierender Frauen – aber wo sind sie? Wieso kriegen wir sie nicht zu sehen und zu hören? Das Online-Magazin Bento hat vor einigen Wochen gezeigt, wie Festivalplakate aussehen, wenn man alle Acts rausnimmt, in denen nicht mindestens eine Frau mitspielt – das Ergbnis: ernüchternd erschütternd. Und klar kann man über Festivalveranstalter(Innen?) meckern, die so ein Line-Up. zusammenstellen, aber wie schaut’s eigentlich mit der Musik aus, die in unseren Wohnzimmern läuft?

Ich habe keine Tochter, wenn ich aber eine hätte, wäre es mir wahnsinnig wichtig, dass sie mit Frauen am Mikro und an Instrumenten als Selbstverständlichkeit aufwächst. Allerdings habe ich zwei Söhne – und es ist mir wahnsinnig wichtig, dass sie mit Frauen am Mikro und an Instrumenten als Selbstverständlichkeit aufwachsen. Man könnte meinen, dass sie das so oder so tun – Beyoncé, Madonna, Katie Perry oder Taylor Swift sei Dank. Stimmt aber gar nicht: Eine Untersuchung des Bayrischen Rundfunks1 hat ergeben, dass in den Jahren 2001 bis 2015 im Schnitt gerade mal 26 Prozent der InterpretInnen der Top 100 Single Charts in Deutschland weiblich waren! An gleicher Stelle wurde festgestellt, dass es hinter den Kulissen sogar noch schlimmer bestellt ist: 11 traurige Prozent der Top Radio-Hits waren im genannten Zeitraum von Frauen geschrieben worden. Krass, oder? Und wir brauchen wohl keine Studie, um schnell zu checken, dass wir Frauen an Instrumenten tatsächlich nur sehr selten zu sehen bekommen – und wenn, dann eher so am Klavier oder an der Geige. Für mich persönlich stellt sich außerdem die Frage: Wie ist die Attitüde der Frauen, die es in die Charts, in die Sichtbarkeit schaffen? Die Sängerin Balbina (die ich weiter unten noch abfeiere) hat vor einiger Zeit in einem Artikel2 im auch sonst sehr empfehlenswerten Online-Magazin Übermedien davon erzählt, wie schwer bis unmöglich es für Frauen ist, ins Radio zu kommen – außer sie machen einfache und gefällige Musik. Nichts gegen einfache und gefällige Musik – aber da gibt’s doch so viel mehr! Allerdings liegt das nicht nur an der Art der Musik, tatsächlich ist es eine der (ungeschriebenen?) Regeln von Radiopolitik:

Frauen sichtbar und erlebbar in ihrem (kreativen) Schaffen zu machen, hat enorm viel mit Empowerment zu tun – es schafft Vorbilder, zeigt, was möglich ist, verändert unsere Wahrnehmung von Normalität und Rollenbildern, und bringt nicht zuletzt frischen Wind in die ganze Angelegenheit. Das ist auch Thema der neuen Musik-Doku “So, which band is your boyfriend in?” (deutsch: “Und in welcher Band spielt Dein Freund?”), in der Musikerinnen davon erzählen, wie schwer es oft für sie ist, als Musikerinnen ernst genommen zu werden, und viel mehr für Begleiterinnen oder Anhängsel von männlichen Bandmitgliedern gehalten werden. Auch die Wichtigkeit von Vorbildern wird darin thematisiert, so spricht eine der Frauen darüber, dass ihre erste Bikini Kill-Platte (Bikini Kill waren eine feministische Punk-Band, mit Kathleen Hanna und Kathy Wilcox an Mikro/Gitarre bzw. Bass) ihr klar gemacht hatte, dass sie als Mädchen auch selbst Musik machen kann, statt einfach nur anderen (also Jungs) dabei zuzusehen. Ich habe den Film noch nicht gesehen, kann es aber kaum erwarten bis er in die Kinos kommt:

Und das alles finde ich auch für Jungen und Männer wahnsinnig wichtig, und zwar nicht nur weil Frauen davon profitieren, wenn Männer sich von klassischen Geschlechterrollen verabschieden, sondern eben auch Männer selbst: In verschiedenen Musikszenen wird Männlichkeit zu weiten Teilen in einer Form konstruiert, inszeniert und kultiviert, die eigentlich niemandem gut tut, auch den Männern selbst nicht; etwa als Tough-Guy-Attitüde im Hardcore, in Form martialischer und archaischer Männerbünde im Metal oder Mackertum und unverhohlener Frauenabwertung im Hip Hop – toxische Männlichkeit3 soweit das Auge sieht. Ich will, dass meine Söhne wissen, dass es auch andere Welten gibt. Und mittlerweile kann ich sagen, dass bei uns mehr Frauen aus den Musikboxen zu hören sind als Männer, einfach weil es da so viel zu entdecken gibt und wir hier total geflasht sind von der spannenden Welt, die wir bis vor einer Weile nicht so richtig auf dem Schirm hatten.

Bock auf eine kleine aber feine Auswahl von Acts im Punk, Indie, Hardcore, Hip Hop und Pop in der Variante Female Fronted? Bitte sehr:

Punk

Brody Dalle

Brody stand schon bei den großartigen Distillers an Mikro und Gitarre, hat dann einen kleinen poppigeren Ausflug mit ihrer Nachfolge-Band Spinnerette gemacht, und ist jetzt solo wieder in punkrockigen Gefilden unterwegs:

War on Women

Wie wäre es mit feministischem melodiösem Punkrock?

Against Me!

Ich habe neulich in einem (sehr lesenswerten) Interview mit der (veganen!) Autorin Sophie Prassmann gelesen, wie sie (nur so halb scherzhaft) vorschlägt, statt von “ambivalenter binärer Struktur” in Bezug auf Geschlechteridentifikation zu sagen: “Boah, Männer und Frauen, schwierige Sache”. Kchrch! Find ich lustig! Ist nämlich echt nicht so leicht. Unser gängiges binäres Geschlechtermodell geht ja davon aus, dass es Mann und Frau gibt (binär = zwei), also entweder das eine oder das andere, und Durchlässigkeit (also quasi Switchen oder ein Dazwischen) sieht dieses Modell auch nicht vor. Diese normative (normativ = so wie Dinge vermeintlich sein sollen) Vorstellung ignoriert jedoch die Lebensrealität unzähliger Menschen, die dieses Modell schlicht als Unwahrheit entlarvt: jenseits der beiden Kategorien Mann und Frau gibt es jede Menge Identifikationen! Es gibt Menschen, die sich nicht mit den Geschlechtsmerkmalen identifizieren, mit denen sie geboren wurden und diese gerne anders hätten. Es gibt Menschen, die den Körper und die Geschlechtsmerkmale (=Sex), mit denen sie geboren wurden, eigentlich voll okay finden,  sich aber mit den Zuschreibungen (=Gender), die mit diesen Geschlechtsmerkmalen einhergehen, nicht identifizieren können und diese Zuschreibung gerne anders hätten. Es gibt Menschen, die sich auch, aber nicht nur mit dem Geschlecht identifizieren, mit dem sie geboren wurden. Es gibt Menschen, die sich weder mit dem einen, noch mit dem anderen Geschlecht identifizieren. Es gibt Menschen, die sich mal eher mit diesem Geschlecht identifizieren, mal eher mit jenem. Es gibt Menschen, die mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen geboren werden, die eine simple binäre Zuordnung Mädchen/Junge überhaupt gar nicht zulassen – und es ist ein unermessliches Drama, dass auch heute noch in den meisten dieser Fälle operiert, und damit Gewalt angewendet wird, damit diese Menschen eben doch in das binäre Geschlechtermodell gezwängt werden können. Das alles bringt die Natur hervor, und da hilft auch gar kein “Ja, aber es sollte so und so sein!” weil es halt einfach eben nicht so und so ist sondern so wie es ist – und das ist auch gut so. Leute, die Welt ist SO UNGLAUBLICH VIELFÄLTIG! Und ich finde wirklich, dass eine Auseinandersetzung über die Unterrepräsentierung von Menschen, die wir als Frauen kategorisieren, schlicht unvollständig ist, wenn sie nicht deutlich macht, dass Geschlecht im Sinne von Gender eigentlich mehr ein Spektrum ist4, 5 in dem sich jede*r  die eigene Nische suchen und sich dort zu Hause und angenommen fühlen dürfen muss. Jenseits des binären Geschlechtermodells gibt es so viel mehr, das sichtbar gemacht und als selbstverständlich behandelt werden will. Und auch diese Vielfalt kann aus unseren Musikboxen kommen.

Als ich Against Me! vor sehr vielen Jahren das erste Mal live gesehen habe, war nicht zu erahnen, welche Reise die damals als Mann und heute als Frau lebende Sängerin und Gitarristin der Punkband hinter und vor sich hatte (ein wahnsinnig berührendes und beeindruckendes, wirklich herzergreifendes Interview dazu, das ich Euch wirklich gerne ans Herz legen möchte, gibt es hier auf YouTube); erst 2012 gab sie bekannt, trangender zu sein und nannte sich fortan Laura Jane Grace. Für mich klingt ihre Stimme seit damals recht unverändert, und ich finde es wichtig, dass unsere Kinder mit der Selbstverständlichkeit aufwachsen, dass im Rahmen des Verständnis von Gender als Spektrum auch das Weiblichkeit sein kann: eine als “männlich” (whatever that means) assoziierte Stimme zu haben. Laura begreift sich selbst eindeutig als Frau, will es sich (soweit das noch dem aktuellen Stand entspricht) jedoch offen lassen, ob sie sich jemals operativ angleichen lassen möchte. Gleichzeitig möchte sie dadurch nicht in ihrer Identifikation als Frau in Frage gestellt werden. Ja, auch das ist Weiblichkeit! Neben diesem flexiblen Gender-Verständnis, von dem wir alle profitieren würden, wenn wir frei von Geschlechterrollen leben könnten, ist aber auch ein anderer Aspekt von zentraler Wichtigkeit, den Grace in einem anderen Interview anspricht: “Transgender visibility is so important – it’s about showing young people that it’s possible to have a happy adult life!” (deutsch: “Die Sichtbarkeit von Transgender ist so wichtig – es geht darum, jungen Menschen zu zeigen, dass es möglich ist, ein glückliches Leben als Erwachsene*r zu leben!”). Amen.

Hole

Ich weiß, schon 100 Jahre her, aber als Grunge kid at heart kann ich nicht anders: Hole darf nicht fehlen. Alle anderen Empfehlungen sind aktueller, ich verspreche es. 🙂

Mobina Galore

Wie viele Frauen braucht man, um eine all female Punkrockband zu gründen? Zwei reichen! Quod erat demonstrandum:

Maid of Ace

Eine all female Punkband kann man aber auch zu viert machen:

Witch Fever

Witch Fever nennen ihre Musik Grunge-Punk, und damit treffen sie mich natürlich genau mitten ins Herz!

Indie

Camp Cope

In “The Opener” prangern Georgia McDonald, Kelly-Dawn Hellmrich und Sarah Thompson von Camp Cope die Unsichtbarkeit von Frauen in der Musikszene an – darf in dieser Auflistung natürlich nicht fehlen:

Campdogzz

Ziemlich lässiger Indie-Rock mit Jessica Price an Gitarre und Mikro:

Cayetana

All Female Indie Punk-Trio, die mit ihren Texten ein Zuhause schaffen, in dem man sich ein bisschen geborgen fühlen kann, wenn man sich mal wieder echt nicht so super fühlt – und die Versicherung braucht, dass man damit nicht alleine ist.

 Daughter

Sphärischer Indie-Folk mit Elena Tonra vorne weg:

Bully

Bully sind SO SEHR Sub Pop (das Label, auf dem seinerzeit die erste Nirvana-Platte rauskam)! Und so sehr 90er! Kaum zu glauben, dass die Platte von 2017 ist. Mir geht das Herz auf!

Larkin Poe

Die beiden Schwestern Megan und Rebecca Lovell sind aktuell sozusagen eine Roots Rock Band, haben aber auch schon tolle Singer Songwriter Sachen gemacht – unbedingt reinschauen und -hören:

Oder wie wäre es mit Indie-Rock von Big Thief? Oder Chastity Belt?

Hip Hop

Lena Stöhrfaktor

Bock auf unprätentiösen Hip Hop mit persönlichen Texten, verhältnismäßig wenig Fäkalsprache und einfach nur authentischer Attitüde? Lena ist für Dich da.

Haiyti

“Das Leben ist lustiger, wenn man Haiyti hört, oder?” sagt mein fabelhafter Mann. Und wie Recht er hat! Was Haiyti, ihres Zeichens Cloud und Trap-Rapperin, genau parodiert, wird eigentlich gar nicht klar – Gangsterrap? Hip Hop im Allgemeinen? Sich selbst? Uns alle? Ihr Sprechgesang hat erstaunlich oft mit Kreischen zu tun und ist wohl oft auch eher das Gegenteil von klassischem Wohlklang, und gerade das gefällt mir mega! Das ist mir ja schon immer auf den Sack gegangen, dass Frauen “schön” klingen müssen, wenn sie es wagten, sich ans Mikro zu stellen, während es als Mann völlig egal ist, was da rauskommt, wenn sie den Mund aufmachen (ohne Scheiß: man muss eben ein Mann sein, um mit einer Stimme wie z.B. Jan Delay sie hat, durchzukommen). Klar, die Texte sind nicht immer ganz ohne – allerdings ist es ganz und gar unmöglich, daraus wirklich schlau zu werden, da sie unterm Strich jeden Sinn entbehren, deshalb gebe ich für ihre Texte einfach mal FSK 0. Ha! BLING BLING BLING – BÄNG BÄNG BÄNG!!

M.I.A.

Politisch, klug, total eigener Style – wie cool kann man eigentlich sein?

Antifuchs

Wenn Antifuchs, die ihre Wurzeln im Battle-Rap hat, ein Blatt vor den Mund nimmt, dann höchstens im Diminutiv, zusammengerollt mit was zu rauchen drin. Coole Stimme, gute Beats und – jede Menge Kraftausdrücke. Von sich selbst rappt sie: “Ich bin kein gutes Vorbild, lass die Kids meine Scheiße nicht hören!” Aufmerksamen Leser*innen wird nicht entgangen sein, dass ich zu Kraft- und Fäkalausdrücken eine sehr wohlgesonnene Beziehung pflege, deshalb hören wir hier Antifuchs trotzdem mit den Kindern zusammen! Die Welt muss viel mehr nicht-brave Mädchen sehen!

Übrigens bin ich der festen Überzeugung, dass Songs, in denen es um Drogen oder Gedisse geht, Kinder und Jugendliche nur dann auf dumme Gedanken bringen, wenn diese arg gleichaltrigenorientiert sind. Oh, ich habe noch nie über Gleichaltrigenorientierung vs. Erwachsenenbindung geschrieben, oder? Muss ich unbedingt mal machen. Bis dahin muss es dieser Link zur Leseprobe von Gordon Neufelds Buch “Unsere Kinder brauchen uns” , in dem es, kurz zusammengefasst, sozusagen um Attachment Parenting (also bindungsorientierte Elternschaft) für Fortgeschrittene geht.

Sookee

Links von Sookee ist nicht mehr so mega viel Platz – ob Sexismus, Rassismus, Homophobie, Klassismus, die queerfeministische Aktivistin Sookee rappt drüber. Und das ist ja schon mal ein vorzügliches Gütesiegel! Eltern, die Wert auf eine kraftausdruckarme Umgebung legen, kommen mit Sookee vielleicht am ehesten klar, denn Beleidigungen und herabwürdigende Begriffe kommen bei ihr idR höchstens im kritischen Kontext vor.

SXTN

“JETZT SIND DIE FOTZEN WIEDER DA!” So geht der erste Track auf der ersten Platte der Berliner HipHop-Combo SXTN los. Ey, das muss man erst mal bringen! Da musste selbst ich mal schlucken und überlegen wie ich das finde und habe ehrlich gesagt ein paar Mal, wenn das Große Herzliebchen zu Hause war, die Platte dann erst ab dem zweiten Song laufen lassen. Aber eigentlich geht’s auf dem Rest der Platte genauso weiter. Ha ha! Und mittlerweile hört mein Sohn auch ab dem ersten Song mit. Ich sag ja: Wir sind da nicht so. SXTN sind auf völlig eigene Weise mega emanzipatorisch (und auch rassismuskritisch) unterwegs, und das F-Wort zu benutzen verstehe ich in diesem Kontext absolut als empowerte Selbstbezeichnung – als Eroberung eines Begriffs, der auf diese Weise nicht mehr von anderen abwertend benutzt werden kann. Manchmal denke ich mir, dass SXTN für mich persönlich ein paar Jährchen zu spät gekommen sind, aber wer sagt, dass ich nicht auch noch mit 38 SXTN übertrieben laut bei offenen Autofenstern pumpen kann? Eben! Mich hat die Dicke-Hose-Attitüde total angefixt, und mein Energielevel geht immer ein bisschen durch die Decke, wenn SXTN hier laufen!

Tice

Die markante Stimme von Tice (ausgesprochen “Tietsche”) musst Du Dir reinziehen:

ÉSMaticx

Elisa ist sozusagen ein Hip Hop-Wunderkind, deren Sachen schon mit 16 anfingen, durch die Decke zu gehen. Jetzt mit Anfang 20 ist sie immer noch am Start und arbeitet an ihrem zweiten Full Length. Für Fans von poppigem Gute-Laune-Hip Hop:

Lizzo

Lizzo begreift ihre Musik als politischen Aktivismus – und wir sollten dem Universum jeden Tag danken, dass sie ihre Karriere als professionelle Flötenspielerin an den Nagel gehängt hat und uns jetzt mit mit solchen unapologetischen Herrlichkeiten beglückt!

Und mal bei Lumaara oder Eunique reinhören?

Hardcore

Walls of Jericho

Als ich die Metalcore-Band Walls of Jericho Anfang/Mitte der Nuller Jahre das erste Mal live gesehen habe, war Candace Kucsulain zwar weder so muskulös wie heute, noch die erste shoutende Frau im Hardcore, die ich jemals auf der Bühne gesehen, trotzdem war sie EINE UNVERGLEICHLICHE ERSCHEINUNG. Sowas hatte ich noch nie gesehen, diese Energie, diese Aggressivität, wie sie sich bewegte und sich nix scheißte, dass Frauen sich (damals) für gewöhnlich nicht so bewegten – und wo sonst Moshpits sind, standen wir alle nur da und konnten sie nur ehrfürchtig und beeindruckt ansehen, bis sie schließlich selbst rief: “Stop fucking staring at me!” (deutsch: “Hört verfickt noch mal auf, mich anzustarren!”)  In der Zwischenzeit hat sie den Kraftsport für sich entdeckt und beweist mit ihren megadicken Oberarmen noch mal, wie scheißegal ihr geschlechternormierte Schönheitsideale sind. Oh, Candace, Du mein secret lesbian crush!  Ohne Scheiß, jedes Mal, wenn ich mir ein Walls of Jericho-Video angucke, fühle ich mich wahnsinnig empowert! So kann Weiblichkeit auch sein! Und ich finde es so wichtig, das bedingungslos festzustellen, denn Frauen ihre Weiblichkeit abzusprechen und/oder ihnen eine Vorstellung zu vermitteln, wie sie sich als Frau zu verhalten haben, ist bis heute eine der gängigsten gewaltvollen Strategien, um sie zu silencen, einzuschränken und einzuschüchtern. 

Gouge Away

2018 bringt die Band um Frontfrau Christina Michelle eine neue Platte raus UND ICH KANN ES NICHT ERWARTEN!! Mega politische Band, die sich Themen wie Sexismus und sexualisierte Gewalt, Rassismus oder Speziesismus verschreibt. Viel rohe Energie in knackigen Zweiminütern. Enjoy!

Rats in the Wall

Eva Hall kenne ich noch aus ihrer ersten Band Gather, einer veganen Hardcore-Band, die ich, Gott habe sie selig, seinerzeit heiß und innig geliebt habe. 2006 waren sie zusammen mit To Kill auf Tour, einer anderen großartigen veganen Hardcore-Kombo – und das Konzert in Berlin werde ich niemals vergessen, und zwar nicht nur, weil das beides einfach supergute Bands waren, sondern weil ich SO MEGA EMPOWERT war von dieser geballten Frauenpräsenz an diesem Abend, denn neben Eva Hall als Shouterin und einer Gastsängerin bei Gather war bei To Kill eine Frau am Bass am Start – in einer derart männlich dominierten Testosteron-Szene war das für mich der Himmel! Beide Bands gibt es bedauerlicherweise schon lange nicht mehr und Eva ist vor kurzem auch bei Rats in the Wall ausgestiegen – mal gucken, was da als nächstes kommt! Für sie hat Sara G das Mikro übernommen, die zuvor in der Hardcore-Band Entry geshoutet hat. Ich bin gespannt! Von Gather habe ich leider kein einziges auch nur halbwegs vorzeigbares Video gefunden, empfehle aber ausdrücklich einen Besuch auf deren Bandcamp-Seite, dort kann man deren Outputs streamen oder auch kaufen.

We Ride

Wenn geschrien, gegrunzt oder gegrölt wird, ist oft gar nicht so leicht herauszuhören, wer da eigentlich am Mikro ist. Anders bei We Ride! Hier wird sofort ohne Zweifel klar, dass mit Mimi Telmo eine Frau am Start ist – und das begeistert mich total! Melodischer Hardcore der Spaß macht!

Expellow

Als Teenager – scheiße, das dürfte so 20 Jahre her sein…! – wollte ich so gerne mal zum Dynamo-Festival, einem Hardcore-Metal-Punkrock-Festival in Eindhoven/Niederlande, kennt das noch jemand? Als ich das damals einem Freund erzählte, sagte er nur trocken: “Das ist nichts für Mädchen”. Kein Scheiß, hat der echt gesagt! Ein anderer Freund sah das wenigstens teilweise anders: “Ich glaube nicht, dass das nichts für Sohra ist.” Damals fühlte ich mich natürlich sehr geschmeichelt – heute sehe ich so spaltende “Du bist anders als die anderen Mädchen”-Sprüche ja deutlich kritischer, weil ich nicht mit der impliziten Bewertung über “andere Mädchen” einverstanden bin. Und man könnte auch meinen, dass sich heute auch die landläufige Meinung über Mädchen/Frauen und harte Musik verändert hat – und dann stößt man im Jahr 2018 im Internet z.B. über solche Kommentare unter dem Video der Band Expellow und ihre Shouterin Mik Dean:

Ja, genau. Weil Frauen nämlich bekanntermaßen eigentlich mega weich sind. Alle. Leute, 2018! Noch viel zu tun ey. Die Metalcore-Band aus der Schweiz lässt sich von solchen Kommentaren, die ihr vermutlich nicht neu sind, nicht reinquatschen und machen mit ihrer Mucke keine Gefangenen:

Auch hier gibt’s natürlich noch so viel mehr: zum Beispiel G.L.O.S.S., Krimewatch, Mortality Rate oder die unsterblichen Undying (eine der ersten veganen Bands und die erste Hardcore/Metal-Band mit einer Frontfrau, die ich kannte)!

Pop

Balbina

Boah, Balbina! Ich bin ich SO SEHR fasziniert: wie sie singt, sich bewegt, sich anzieht, sich schminkt. So edgy, so eigenwillig, exzentrisch bisweilen. Balbina setzt sich darüber hinweg, wie man sich gängigerweise bewegt, anzieht oder schminkt, sie macht einfach voll ihr Ding. Balbina ist es sowas von scheißegal, dass es kein Musik-TV mehr gibt: Ihre Videos sind trotzdem mega aufwändig mit hohem, künstlerischem Anspruch. Ich habe Balbina erst vor relativ kurzer Zeit entdeckt, in einem Artikel im übrigens auch sonst sehr empfehlenswerten Online-Magazin Übermedien, in dem sie davon erzählt, wie schwer es für Frauen ist, ins Radio zu kommen – außer sie machen einfache und gefällige Musik. Ja, einfach und gefällig ist Balbina nun wirklich nicht, und deshalb und auch weil ich in ihren Texten so unglaublich oft den Soundtrack zu meinem Leben finde, läuft sie hier wirklich auf Dauerschleife. Ich glaube wirklich, dass ich hier mal wieder seltenen Nachschub in Sachen Lieblingsmusik gefunden habe. Eine meiner Lieblingszeilen das mich persönlich auch immer wieder empowert, ist aus einem meiner Balbina-Lieblingslieder Unterm Strich und sie singt auf so wunderbar eigensinnige Weise: “Ich will ne Diktatur in meiner Musik, ist mir egal wie eine Band das sieht. Wenn ihr was anderes spielen wollt dann spielt nicht mit mir!” Und ich denke mir jedes Mal: “JA! JA! ICH WILL AUCH MEIN DING GENAUSO MACHEN WIE ICH ES WILL!” Frauen dürfen das gemeinhin nämlich nicht: uneinfach und ungefällig sein und standhaft auf das bestehen, was sie wollen. Machen wir aber trotzdem.

Tegan and Sara

Lesbischen Frauen geht es nicht viel anders als heterosexuellen Frauen: Homosexualität in der Öffentlichkeit ist meist männlich und Lesben werden “mitgemeint” – ihre Marginalisierung (Marginalisierung ist, wenn bestimmte Teile der Gesellschaft zu Randgruppen gemacht werden, und deshalb ihnen Zugang und Teilhabe zu Bereichen wie Arbeits- oder Wohnungsmarkt, Wirtschaft, Kultur, Bildung, Politik und ähnliches einschränken kann) findet jedoch gleich auf mindestens zwei Ebenen statt: auf der Ebene der Marginalisierung von Frauen, und auf der Ebene der Marginalisierung als Homosexuelle. Tegan and Sara sind nicht nur seit vielen Jahren feste Größen der Indiepopszene, sondern auch Lesben und feministische Aktivistinnen, die sich genau an dieser Stellschraube engagieren, und dafür sogar ihre eigene Stiftung gegründet haben: die Tegan and Sara Foundation widmet sich dem Kampf für ökonomischen Gerechtigkeit, Gesundheit und Representation für LGBTQ Mädchen und Frauen (LGBTQ ist die Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender & Queer, manchmal auch LGBTI, wobei das I am Ende für Intersexuell steht, also Menschen, ). Dass es in Sachen lesbischer Sichtbarkeitdringenden Handlungsbedarf gibt, zeigt zum Beispiel, wenn man “queer” googelt:

queer google

Queer meint natürlich nicht schwul, sondern eigentlich alles außerhalb einer klassisch heterosexuellen Orientierung (mehr über diesen Begriff und andere findest Du im Queer-Lexikon des Berliner Tagesspiegel). Hier aber endlich mal ein Kostpröbchen von Tegan & Sara:

Tami T

Die Schwedin im Berliner Exil Tami T macht ebenso eigenwilligen wie großartigen Elektro-Pop mit ebenso eigenwilligen wie großartigen Texten. Wer schreibt bitte so ein Liebeslied? So groß! In einem anderen Song singt Tami T über die Erwartungshaltung an sie als Transfrau, Weiblichkeit zu performen – das hat mich auf verschiedenen Ebenen berührt, unter anderem auch deshalb, weil es mich so schmerzhaft daran erinnert hat, wie sehr und oft das Erfüllen von Genderrollen für uns alle genau damit zu tun hat: einer Performance, einem Darstellen, Herstellen, einem so mega anstrengenden Bemühen, und daran, wie fürchterlich unfrei es uns alle macht. Dafür muss man nicht mal Judith Butler bemühen (kann man aber und von ihrer Analyse des “Doing Gender” mal gehört zu haben, kann für alle von uns nur von Gewinn sein; in  These dieser PDF7 findest Du kurze Zusammenfassung dazu), das kennen wir  (bzw. braucht es dafür oft erst eine Entlarvung, weil so viel davon mit unbewussten Prozessen zu tun hat) doch alle aus unserem Alltag.

PVRIS

Oder wie wäre es mit etwas düsterem, etwas elektrowavigem Poprock inklusive mega starker Stimme von Frontfrau Lindsey Gunnulfsen? Dieses Lied hatte ich mal zwei Tage als Ohrwurm. Das war schön! Der Bandname wird übriges wie das englische Paris ausgesprochen.

Gurr

Geilon! Indiepop aus Berlin! Und die Dancemoves! <3

Anna Tivel

Singer-Songwriterin mit Akustik-Gitarre, rauchig-weicher Stimme und tiefen Lyrics – unbedingt eintauchen in diese leise, kraftvolle, poetische Welt, die Anna Tivel mit ihrer Musik malt!

Mine

Jasmin Stocker macht experimentierfreudigen anspruchsvollen Pop, zuweilen mit Elektro- und Folkeinschlägen. Guck Dir doch mal dieses wunderschöne Video an:

Noch nicht müde? Wie wäre es mit Singer-Songwriterin Emma Ruth Randle oder Gitarrenpop von Dott?

Puh, ganz schön viele Videos, wa? Und da ich ja ein sehr serviceorientierter Mensch bin, habe ich alle gelisteten Songs zum knackigen Durchhören auch in eine Playlist gepackt, hier auf Spotify, hier für iTunes/Apple Music.

Natürlich kann dieser Artikel das weite Feld der Musikerinnen nur anreißen und ist weit von Vollständigkeit entfernt. Und Metal der nix mit Hardcore zu tun hat, findet in diesem Artikel nun gar nicht statt – da kenne ich mich einfach Null aus. Aber auch da gibt es jede Menge Künstlerinnen. und Frontfrauen, wie diese Übersicht über Female Fronted Metal von last.fm zeigt!

Wenn Du Bock darauf hast, in Sachen Musik und Frauen weiter auf dem Laufenden zu bleiben, guck doch mal bei diesen Online/Print-Zines rein:

Kennst Du noch mehr – Musikerinnen oder Zines? Ich freue mich über Empfehlungen in den Kommentaren!

Übrigens: Ist Dir aufgefallen, dass ich keine der Künstlerinnen hier “Powerfrau” genannt habe? Denk mal drüber nach. Vielleicht nehme ich den Begriff aber wieder in meinen Wortschatz auf, wenn wir alle anfangen, einige Männer (aber wirklich nur einige, um sie trennscharf von anderen Männern abzugrenzen) Powermann zu nennen. Ey, das wäre doch lustig, lass das mal machen! 

 

Fußnötchen:

1 BR: Wie viel Penis steckt im Pop? Warum die Musikbranche ein Frauenproblem hat. Link
2 Übermedien: Musik im Radio. Die Männer der 80er, 90er und die besten Männer von heute. Link
3 taz: Debatte um “toxische Männlichkeit”. Problematische Kerle. Link
4 geschlechtsneutral: nicht-binäre Geschlechtsidentitäten. Link
5 teenvogue: 9 Things People Get Wrong About Being Non-Binary. Link
6 queer: Tag der lesbischen Sichtbarkeit. Doppeldiskriminierung von Lesben bekämpfen. Link
7 adulteducation: Doing Gender. Geschlecht als gesellschaftliche Konstruktion. Link

8 Kommentare
  1. Woow, ich bin auch feministische Music Mutti…liebe Grüsse

  2. Hip-hop: Keny Arkana:
    https://www.youtube.com/watch?v=oewRadlyrHo
    Punk: Post Regiment (ich komme auch aus Polen)
    https://www.youtube.com/watch?v=ThnqqkoIpBs
    El Banda:
    https://www.youtube.com/watch?v=4f-yEkowwiU
    La Fraction:
    https://www.youtube.com/watch?v=260ZzNP457M
    X-Ray Spex
    https://www.youtube.com/watch?v=aTfgWegud7o

    Schöne Grüsse und ich hoffe wir sehen uns bald (bei vegane Picknick oder so)

  3. aaaa….ich habe ganz vergessen… die hamburgerinen…Lessi Singers
    https://www.youtube.com/watch?v=Q4HrZZoIPEE&list=RDOeGDWslBLq0&index=3

  4. Venom Prison
    http://venomprison.bandcamp.com/
    Death Metal / Hardcore Punk
    Sängerin: Larissa (früher bei Wolf Down)

  5. Vielen Dank, Sohra, für diesen wichtigen und – auch in Sachen „Service“ und Multimedia – ganz tollen Beitrag! Ich freue mich schon, die Playlisten in Ruhe durchzuhören!

    Ich möchte in Sachen Punk/Hardcore noch die Petrol Girls empfehlen: https://youtu.be/M8TZsBGgoMc
    Als es um die Frage nach einer „guten“ Stimme ging, sind mir noch Parole Trixi eingefallen, die auf solcherlei Bewertungen auch dezidiert gepfiffen haben: https://youtu.be/pTNNCfeFbYI
    Und hör(t) unbedingt mal in den Podcast „Klub Krach“ von Nele P. rein: https://m.facebook.com/klubkrach/, darüber habe ich für mich ganz viele neue, tolle Bands kennengelernt.

    Bestes
    Benjamin

    • Cool, danke für die Tipps! Ich will ja sowieso (irgendwann) mal einen Teil II dieses Artikels machen. 🙂

  6. Ich empfehle noch Sukini. Hier ein Lied, dass ich super finde (weil abseits von “Prinzessinnen müssen gerettet werden)

    https://www.universal-music.de/sukini/videos/prinzessin-peach-487572

    Namika gefällt mir auch gut!

    Danke für die tolle Zusammenstellung, morgen hör ich mich durch.

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