SohraBehDiesen Text habe ich im August 2012 für Deutschland is(s)t vegan geschrieben und ist erstmalig an dieser Stelle erschienen. Mit freundlicher Genehmigung nun auch hier:

Ich habe einen Sohn, er ist fast drei Jahre alt und ein ziemlich cooler Typ. Und er lebt vegan. Genau wie ich.

Als ich schwanger wurde, war ich bereits zehn Jahre Veganerin. Ich weiß, dass es vegane Frauen gibt, die ihre Schwangerschaft zum Anlass nehmen, wieder Tierprodukte zu essen. Ob das eine willkommene Ausrede ist oder der Druck von außen zu hoch wird – man weiß es nicht. Für mich stand das nicht zur Debatte. Ich machte mich auf die Suche nach einer Frauenärztin und einer Hebamme, die einer veganen Ernährung gegenüber offen eingestellt waren und fing an „Viva Vegan für Mutter und Kind“ zu lesen. Und ich durchstöberte das Internet nach anderen veganen Eltern und ihren Kindern.

Manchmal habe ich kurz Bedenken: Neulich etwa, als mein Sohn einer Frau im Bioladen hinterher rief, dass Eier für Hühner seien und sie keine kaufen soll. Ich fragte mich einen Augenblick lang, ob ich meinem kleinen Kind meine Überzeugung einpflanzen darf: Eier sind für Hühner. Aber diese Bedenken sind nur von kurzer Dauer. Mein Sohn reißt auch auf der Straße seine Ärmchen hoch und ruft „STOPP!“ in Richtung von Autofahrern, die sich einer roten Ampel nähern. So hat er es nun mal von mir gelernt: An einer roten Ampel halten wir an. Eier essen wir nicht. Und die Klugscheißerei liegt anscheinend in den Genen. Ich erkläre ihm, wie man überlebt und ich erkläre ihm, was ich für richtig oder falsch halte. Falsch finde ich anderen Kindern Spielzeuge wegzunehmen. Oder sie zu hauen. Oder die Mamamilch von Kuhbabys zu trinken. Richtig finde ich, sich beim Schaukeln abzuwechseln. Oder viel Zeit mit Lachen und Kuscheln zu verbringen. Nur so als Beispiele.

Ich treffe immer wieder vegane und vegetarische Menschen, die sich an genau diesem Punkt anders entscheiden. Sie lassen ihr Kind Tierprodukte essen, weil sie ihr Kind selbst entscheiden lassen wollen. Sagen sie. Ich sage: Wenn Eltern ihr Kind Tierprodukte essen lassen, dann haben diese Eltern entschieden, dass das Kind Tierprodukte isst; mit kindlicher Autonomie hat das meiner Auffassung nach wenig zu tun. Die gleichen Eltern überlassen den Kindern ja auch nicht die Entscheidung darüber, ob es zum Abendessen Brokkoliauflauf oder Schokopudding geben soll.

Wovor scheuen sich diese Eltern? Gehen sie lieber den einfachen, den Mainstream-Weg? Ich möchte es ihnen nicht verübeln. Aber ich wundere mich, denn einem Kind ein empathisches Bewusstsein für Tiere zu vermitteln, gehört zu den einfacheren Dingen in Sachen Erziehung, denn Kinder lieben Tiere! Sie wollen ihnen nicht wehtun; sie möchten sie beobachten und streicheln und mit ihnen spielen. Und sie unterscheiden da nicht zwischen einem Kaninchen und einem Schwein – das bringen wir ihnen erst bei. Karnismus nennt man das.

Vielleicht haben einige dieser Eltern auch Angst davor, ihr Kind zum Außenseiter zu machen. Ob ich diese Angst kenne? Nein. Ich bin fest davon überzeugt, dass Ausgrenzung und Mobbing nicht von Dingen wie Ernährung abhängt, sondern von der Persönlichkeit. Und ich gebe mir viel Mühe, mein Kind in ein Leben geprägt von Selbstwertgefühl und Selbstsicherheit zu begleiten. Ja, ich habe schon von veganen Kindern gehört, die in der Schule gehänselt werden. Ich kenne aber viel mehr selbstbewusste vegane Kinder, die ihr Vegansein als ihr Profil sehen; als etwas, das sie im positiven Sinn von anderen abhebt und worauf sie stolz sind.

Ich weiß, dass ich viel Glück habe. Der Vater lebt selbst vegan, deshalb herrscht an der Front Einigkeit. Die Diskussionen mit der Verwandtschaft hatte ich bereits lange vor der Schwangerschaft ausgefochten, also habe ich auch von der Seite Ruhe. Und ich lebe in Berlin: Die Kita meines Sohnes ist kooperativ und bestellt bei ihrem Catering-Service (natürlich Bio) einfach veganes Essen für ihn. Ich habe hier einige vegane Familien kennen gelernt, wir treffen uns regelmäßig. Und die Ärzte beeindruckt eine rein pflanzliche Ernährung überhaupt nicht: Als mein Kind in seinem ersten Winter in der Kita dauerkrank war, klapperte ich eine Kinderarztpraxis nach der anderen ab; erst die fünfte Pädiaterin erklärte sich bereit, meinem Sohn Blut abzunehmen. Alle anderen hatten das nicht für notwendig gehalten, obwohl ich sie über unsere vegane Ernährung informiert hatte – so normal fanden sie, dass ein Kind, das gerade in die Kita gekommen ist, erst einmal jeden Infekt mitnimmt, den es dort kriegen kann (und das sind sehr, sehr viele) und so wenig Besorgnis erregte unser Veganismus bei ihnen. Sie sollten Recht behalten: Das Blutbild war einwandfrei und mit den ersten Frühlings-Sonnenstrahlen hörte das Näschen auf zu laufen.

Ich glaube, dass vegane Eltern und Kinder Unterstützung und Zuspruch brauchen von anderen veganen Eltern und Kindern. Deshalb habe ich TofuFamily.de ins Leben gerufen. Es ist von enormer Bedeutung zu wissen, dass man mit seiner Lebensweise nicht alleine ist. Aber auch wenn ich engagierte Tierrechtlerin bin, definiere ich mich nicht so sehr als vegane Mutter. Ich bin ein wertorientierter Mensch. Es gibt einen Katalog von Werten an den ich glaube. Hilfsbereitschaft und Zusammenhalt. Gerechtigkeit und Gleichwertigkeit. Gewaltlosigkeit und Aufrichtigkeit. Nur so als Beispiele. Veganismus reiht sich da nahtlos ein. Und ich finde nichts natürlicher und logischer, als meinem Kind diese Werte zu vermitteln. Bei einigen dieser Dinge klappt das am besten, indem man sie vorlebt, bei anderen sind erklärende Gespräche notwendig.

Ich mache mir keine Sorgen darüber, ob mein Sohn später einmal Fleisch essen möchte. Er wird seinen Weg gehen. Vielleicht gehört mal ein Big Mac dazu, wir werden sehen. Aber ich bin zuversichtlich. Ich gehe davon aus, dass er unter anderem ein Mensch wird, bei dem Empathie eine große Rolle spielt und der sein Handeln an seinen Werten ausrichtet, nicht umgekehrt. Und bis dahin passe ich auf, dass er nicht bei Rot über die Ampel läuft. Nur so als Beispiel.

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