Cover: Wir sind nachher wieder da, wir müssen kurz nach AfrikaEin wirklich, wirklich wunderbares, wunderbares Buch über Zoos, Freiheit, Familie, Hilfsbereitschaft, Zusammenhalt, Sehnsucht und Würde

Boah, Leute. Dieses Buch! Ein Zufallsfund wieder in der Bibliothek und wir hier (mein Sohn und ich) sind so begeistert, dass wir es uns jetzt auch selbst kaufen möchten.

Der Plot: Marie und ihr Bruder Joscha sind allein zu Hause, als plötzlich Abuu hilfesuchend ans Fenster klopft. Abuu wird von der Polizei und der Feuerwehr gesucht, er ist nämlich ausgebrochen. Aus dem Zoo. Abuu ist ein Elefant. Und er will zu seiner Familie nach Afrika. Klar, dass Marie und Joscha ihm helfen wollen und so beginnt eine aufregende Reise auf der Berge, Wüsten, Dschungel und Meere durchquert, viele Geschichten erzählt, Einsamkeit gelindert, Weisheit bewiesen, Abenteuer bestanden, Gefahren bezwungen und Helfer gefunden werden. Wunderbar ist auch die rührende Verbundenheit der Geschwister Marie und Joscha zueinander und die neu geknüpfte Freundschaft zu Abuu.

Und zum ersten Mal bei einer Kinderbuchrezension will ich mal nicht zu viel verraten, denn ich selbst habe beim Vorlesen die Geschichte mit Spannung verfolgt und fühlte mich dabei sehr unterhalten. Und nicht nur das: Vor allem das starke Ende hat mich zutiefst berührt: Das hat so viel mit der Zurückeroberung von Würde zu tun und das während deutlich wird, wie sehr das, was Menschen mit Tieren machen, mit Entwürdigung zu tun hat. Das habe ich so auch noch nicht in einem Kinderbuch thematisiert gesehen. Man findet in Kinderbüchern von unveganen Autoren (wie in diesem Fall) ja erstaunlich oft Tiere, die sich aus der Gefangenschaft befreien oder von ihren menschlichen Freunden befreit werden – seien es Tiere, die in Zoos gelebt haben oder Tiere, die vor dem Metzger gerettet werden konnten. Oft geht es dabei um Freiheit oder Gerechtigkeit. Und dann gibt es etwa die veganen Kinderbücher von Ruby Roth, in denen das Leid der Tiere und der Appell an die menschliche Empathie in den Mittelpunkt gestellt werden. Aber die eigenständige Würde von Tieren habe ich noch nie so schön, so eindringlich behandelt gesehen wie in “Wir sind nachher wieder da, wir müssen kurz nach Afrika”.

“Jeder braucht eine Familie”

Der Verlag empfiehlt das Buch ab sechs Jahren und ich finde, das kommt auch grob hin. Ich selbst hatte beim Ende tatsächlich Pipi in den Augen (was soll ich sagen, ich bin halt nahe am Wasser gebaut…) – mein Sohn (fast sechs) zwar etwas verwirrt über die heulende Mama, aber ansonsten begeistert. Bei ihm kam an, dass jeder eine Familie braucht und dass Gefangensein blöd ist, der Subtext von Würde und Entwürdigung und so ging ein bisschen an ihm vorbei, aber das ist auch in Ordnung.

Ein wirklich wunderbares Buch, übrigens sehr schön illustriert von Barbara Scholz, das sich auch sehr gut als Geschenk an nicht-vegane Kinder eignet weil es so unaufdringlich daherkommt.

Oliver Scherz, Barbara Scholz: “Wir sind nachher wieder da, wir müssen kurz nach Afrika”. Thienemann Verlag 2014. 112 Seiten. 12,99 Euro. 

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Nachtrag, Februar 2017

Schon ewig nehme ich mir diesen Nachtrag vor. Sensibilisiert durch den Kommentar von Bastian habe ich mir einige Gedanken gemacht und auch die Augen aufgehalten, wie wir dem Thema “Afrika” im Alltag und in den Medien begegnen. Natürlich habe ich schon länger auf dem Schirm, dass auch Kinderbücher ein weites Feld für Rassismus (und andere -ismen) parat halten; wenn ich meinem Sohn Pippi Langstrumpf vorlese, lese ich natürlich nicht die N-Wörter vor, sondern ersetze sie z.B. mit “Südseekönig” oder ähnlichem. Dennoch habe ich mir zunächst nichts dabei gedacht, als mein Sohn im letzten Jahr von seiner “Afrika-AG” nur von wilden Tieren erzählte. Und zwar deshalb: weil wir Afrika nicht als den vielfältigen, facettenreichen, heterogenen Kontinent auf dem Schirm haben, das es ist. Wenn die Grundschule eine Afrika-AG macht, wundern wir uns nicht, dass es da nur um Löwen, Krokodile und Elefanten geht. Wenn wir einen Buchtitel hören, der lautet “Wir sind nachher wieder da, wir müssen kurz nach Afrika” finden wir das schon völlig klar, wir fragen uns nicht: “Hä, wohin denn genau? Nach Malawi? Oder Ägypten? Zu den Seychellen? Tunesien? Mosambik? Tschad? In den Senegal?” Dabei ist Afrika genauso wenig eine Sauce wie Europa.

Ich möchte dennoch von meiner Begeisterung für dieses Buch nicht abrücken. Ich lese meinem Sohn dieses Buch immer noch sehr gerne vor. Mittlerweile spreche ich mit ihm aber darüber, dass Afrika weit mehr ist als Savanne und Elefanten und Löwen (und natürlich spreche ich sowieso mit ihm auch darüber, dass Menschen in der Südsee natürlich Besseres zu tun haben, als angespülte Seemänner zu ihrem König zu machen).

8 Kommentare
  1. Danke für den Tipp und die Rezension. Ich habe in den Amazon-Rezensionen gelesen, dass der letzte Schluss enttäuschend sei und dass sexistische Klischees bedient werden (der Junge sei mutig, das Mädchen ängstlich). Afrika würde als Abenteuer-Spielplatz der weißen dargestellt, als gefährliches Land, anstatt als Kontinent mit vielen ganz unterschiedlichen Kulturen. Die Tiere haben einen König.

    Wie siehst Du das?

    Wir finden es extrem schwer, Kinderbücher (genau so, wie Romane) zu finden, deren Autoren ein Bewusstsein hatten für Speziesismus, Sexismus und andere Herrschaftsverhältnisse. Überall sind beispielsweise Frauen und Mädchen mit langen Harren gemalt, so als hätten sich die einzelnen Mädchen und Frauen dieses “ich mag mich mit langen Haaren” geradezu selbst ausgedacht und es wäre kein Rollenbild, dass sie verinnerlicht hätten (Frauen haben nunmal schön und “feminin” zu sein und können oder wollen sie es nicht sein, sind sie eben Menschen dritter Klasse – es sei denn, sie kompensieren das irgendwie durch überragende Kompetenz, Machtpositionen, großes Selbstvertrauen + Humor etc.). Natürlich wird die Realität abgebildet, wenn auf einer Baustelle nur Männer arbeiten (falls nicht gerade das Baustellenklo zu putzen ist), aber man sieht halt schon, ob Autor und Zeichner hier eine unschöne Realität aufgreifen, oder ob sie mit dieser kein Problem haben. Ich weiß nicht, ob Du das auch so siehst. Aber falls ja, vielleicht kannst Du kurz schreiben, wie Du das Buch in dieser Hinsicht einschätzt.

    • Hallo Bastian!

      Habe die Rezensionen mal durchgeguckt und habe jene, die Du wohl meinst, auch gefunden – und stimme beiden zumindest was die Attitüde der Kritik angeht, überhaupt nicht zu. Der Junge ist zwar etwas mutiger als das Mädchen, aber er ist auch älter als seine Schwester. Jonas ist auch nicht gerade ein Draufgänger – auch er hat Angst. Und das Mädchen ist auch ganz schön mutig – sowohl in der ersten Begegnung mit dem Elefanten, als auch durch den Umstand, dass sie sich überhaupt auf diese waghalsige Reise macht.
      Afrika wird, etwas klischeehaft, tatsächlich als homogener Ort mit wilden Tieren dargestellt, das hätte differenzierter sein können und wahrscheinlich auch müssen. Aber als Abenteuerspielplatz für Weiße habe ich “Afrika” gar nicht dargestellt gesehen – vielleicht auch, weil die beiden sich ja nur deshalb auf den Weg dorthin machen, um Abuu zu helfen, seine Familie zu finden. Und ja, es gibt keine Schwarzen Menschen in dem Buch, aber außer Marie und Jonas gibt’s auch keine Weißen.
      Es ist schon so: Oliver Scherz ist wahrscheinlich kein intersektional politisch sensibler Mensch, aber das Buch ist wirklich weit davon entfernt, so ignorant zu sein, dass man es wegwerfen müsste.

      Ja, ich finde es auch schwer, wirklich tolle Bücher zu finden. Guck mal hier, vielleicht ist da was für Euch dabei: http://www.situationsansatz.de/vorurteilsbewusste-kinderbuecher.html
      Viele Grüße! 🙂

  2. Huhu,
    wieso gefällt dir das 1. Buch nicht? Eine Freundin hat es mir empfohlen und ihr 2,5Jahre alter Sohn liebt es!
    Würde mich über einen kleinen Kommentar freuen 🙂

    • Hallo Antonia! Welches erstes Buch meinst Du? Vielleicht “Warum wir keine Tiere essen” von Ruby Roth? Ich finde es arg düster und ich finde auch die Illustration der Tiere schlicht nicht schön, sehr kantig. Oder meinst Du etwas anderes?

  3. Ja genau das meinte ich 🙂 Danke!

  4. Ich hab bei Pippi auch jedes Mal eine andere Formulierung eingeschoben.
    Ich finde es immer wieder faszinierend, zu beobachten, wie schwer sich Erwachsene oft danit tun, rassistische oder diffamierende und überholte Formulierungen anzuerkennen und in Frage zu stellen. Schliesslich ist man bereits in gewisser Weise manipuliert, durch eigene Erziehung und Kindheit und nicht mehr so unvoreingenommen, wie ein Kind, was solche Aussagen zum ersten Mal hört und geprägt wird und diese legitimiert werden, durch die Existenz in einem Buch. Ich finde es gut, wenn sich Jemand die Zeit nimmt und Dinge in Frage stellt. Danke dafür!

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