stillen„Oh, das ist lang,“ Pause… Pause… „Das ist sehr lang!“ Ich kann nichts dagegen tun: Wenn ich mal wieder diese Reaktion bekomme darauf, dass ich meinen nunmehr fast dreijährigen Sohn immer noch stille, verzieht sich mein Mund von selbst zu einem stolzen Lächeln. Ich freue mich und nicke und platze vor Stolz. Ja! So lange stillen wir schon! Toll, oder? ODER?

Das war (gelinde gesagt!) so nicht abzusehen. Bevor ich schwanger wurde, wollte ich überhaupt nicht stillen. Ich fand die Vorstellung unästhetisch, archaisch und insgesamt irgendwie entfremdend. Mein Blick auf meine Brüste war eher sexuell orientiert und ich empfand es als Instrumentalisierung meines Körpers, auf eine derart unsexuelle Weise ein Sekret zu produzieren, um einen Menschen, und sei es mein Kind, damit zu nähren. (Auf den Trichter, dass mein sexualisierter Blick auf die Brust ebenso eine Instrumentalisierung darstellte, kam ich damals irgendwie nicht. Wie auch: Es entspricht gesellschaftlichem Konsens die weibliche Brust primär als Sexualobjekt zu sehen, statt in ihrer ursprünglichen Funktion: der Produktion eines Sekrets – das übrigens süß und ziemlich lecker schmeckt – um damit einen Menschen zu nähren).

Das alles war ein Dilemma für mich, denn gleichzeitig wollte ich mein Kind gesund und vegan (Jahaa: Muttermilch ist vegan. Sie ist zwar sozusagen tierischen Ursprungs, aber von der eigenen Spezies. Und jahaa: Das gleiche Argument macht auch Sperma vegan. Sonst noch Fragen?) ernähren. Ich wusste, dass Stillen das Immunsystem stärkt und das Risiko von Allergien und verschiedener Krankheiten wie Bluthochdruck, Übergewicht und Diabetes senkt. Die Tatsache, dass Muttermilch alle Nährstoffe besitzt, die ein Baby braucht und man sie damit nicht überfüttern kann, fand ich beruhigend und bequem – da konnte man also nichts falsch machen. Nichts falsch machen können ist immer gut. Und für mein Kind nur das Beste: Ich ließ mich während der Schwangerschaft innerlich also widerwillig, aber entschieden auf den Kompromiss ein, die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen sechs Monate zu stillen. Eine Bekannte, die gerade Mutter von Zwillingen geworden war, gab mir das ‘Das Stillbuch’ von Hannah Lothrop – ein Standardwerk von dem ich viel Positives gehört hatte. Ich legte es aber bald zur Seite. Der omnipräsente ‘Du schaffst das!’-Tenor verunsicherte mich; bis dahin war ich gar nicht auf die Idee gekommen, es könnte mit dem Stillen Schwierigkeiten geben. Ich war unbesorgt und fest entschlossen und wollte es bleiben.

Mein wunderbares Kind wurde geboren und die Welt wurde eine andere – in so vielen unaufzählbaren Hinsichten, und auch in Bezug auf meine Sicht aufs Stillen: Ich war überwältigt von dieser neuen Dimension körperlicher Innigkeit und begann zu meiner eigenen Überraschung zu lieben, meinem Kind die Brust zu geben. Ich stillte und stillte und plötzlich waren sechs Monate vorbei und ich fand nichts befremdlicher, als diesem Mini-Menschlein die wichtigste Quelle für Nahrung und Nähe zu entziehen.

Ich sehe, wie sehr mein Kind buchstäblich an der Brust hängt, wie wichtig ihm Stillen immer noch ist und es macht mich glücklich, dass ich ihm geben kann, was es braucht. Nirgends findet mein Kind so viel Ruhe, Trost oder Beruhigung, wie an meiner Brust. Wenn Süßi schlecht gelaunt ist, kuscheln wir uns ins Sitzkissen, stillen und er ist danach wie ausgewechselt. Du musst wissen: Mein Kind ist in der Regel schwer beschäftigt: Die Welt will en detail entdeckt werden und mein Sohn hat darin einen starken Ehrgeiz entwickelt. Er ist anscheinend der Meinung, dass für Rast und Kontemplation noch genug Zeit bleibt, wenn er alt genug ist, um Kaffee zu trinken. Bis dahin kultiviert er jede wache Minute die Hummeln in seinem Hintern – außer beim Stillen: Für uns beide sind das das Momente des Herunterkommens und wohligen Müßiggangs. Abends kann ich ihn bequem und rasch in den Schlaf stillen und ich kann beruhigter sein in Bezug auf seine Versorgung mit Nährstoffen. Wenn er krank ist und nicht essen möchte, muss ich mir nicht so viel Sorgen machen – wir stillen ja noch. Es ist eine Win-Win-Win-Win-Win-Strategie.

Vor kurzem hat er angefangen mich zu stillen. Dieses lebhafte und wenig zimperliche Kind wird dann ganz ruhig und liebevoll. Es zieht vorsichtig meinen Kopf an seine Brust und ich tue so, als würde ich saugen. Er liegt ganz geduldig da und die Wärme und Zärtlichkeit, die er mir in diesen Momenten entgegenbringt ist in ihrem intensiven Charakter kein Vergleich zu seinen sonstigen Kuscheleinheiten. Ich sehe das als Spiegel dessen, was er beim Stillen empfindet und ich schätze mich glücklich, dass er mir mit diesem kleinen Rollenspiel eine Ahnung davon gibt, welche Gefühle das Stillen in ihm auslösen muss. Und es passt gut zu dem, was Jamie Lynne Grumet (sie machte vor kurzem Furore, als sie, ihren dreijährigen Sohn stillend, auf dem Times-Cover abgebildet war), die sich als Kind mit sechs Jahren recht spät selbst abstillte, im Interview über ihre Erinnerungen ans Stillen erzählt: „It’s really warm. It’s like embracing your mother, like a hug. You feel comforted, nurtured and really, really loved. I had so much self-confidence as a child, and I know it’s from that. I never felt like she would ever leave me. I felt that security.“

Nun, ich habe nicht vor, mein Kind mit sechs Jahren noch zu stillen. Aber ich verschwende jetzt auch nicht meine Zeit damit, mir zu überlegen, wo meine Grenze liegt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es funktioniert, meinem Kind und unserem Zusammenspiel zu vertrauen. Meine Wunschvorstellung ist es, meinem Kind diese Entscheidung zu überlassen, aber mal sehen; wenn ich vorher keine Lust mehr habe, gibt es wohl Gesprächsbedarf. Und ich mache mir keine Sorgen. Kinder haben das natürliche Bedürfnis selbstständig zu werden und sich abzunabeln. Es wird die Zeit kommen, da er nicht mehr stillen wird. Und ich habe wissenschaftliches Back-up: Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, mindestens zwei Jahre zu stillen und darüber hinaus so lange es Mutter und Kind es wollen. Aus humanethologischer Sicht ist es völlig normal ein Kind noch mit vier oder fünf Jahren zu stillen; genaue Studien oder Statistiken zum globalen Abstillalter gibt es jedoch nicht.

Nicht immer macht mir das Stillen Spaß. Es gibt immer mal wieder Phasen, in denen es mir zu viel wird. Meistens hat es weniger mit dem Stillen an sich zu tun, sondern mit meiner persönlichen Auslastung zu dem jeweiligen Moment. Ich schließe nicht aus, dass ich in einer solchen Phase irgendwann entscheide, nicht mehr oder nur noch in bestimmten Zeitfenstern zu stillen. Aber vorerst fällt es mir nicht schwer, das Stillen auch als Geschenk an meinen Sohn zu sehen. Ich schenke ihm diese ganzen Gefühle, diese Basis, diese Sicherheit. Und wie das so ist mit Geschenken: Man gibt, aber bekommt auch so viel zurück.

Ich finde zum Beispiel unglaublich beeindruckend, dass mein Körper das kann: Mein Körper hat nicht nur geschafft, in nur neun Monaten einen ganzen Menschen zu produzieren. Er hat darüber hinaus Ressourcen freigegeben, um diesen Menschen fast ein Jahr lang zu ernähren (so lange hat es nämlich gedauert, bis Süßi sich für mehr oder minder feste Nahrung interessierte) und gedeihen zu lassen. Dieses Kind ist ein Wunder und mein Körper hat es vollbracht. Ziemlich cool von ihm.

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